Die Erdgaspreise in Europa steigen, was die Sorge um die Versorgungsstabilität und die steigende Nachfrage widerspiegelt, während sich der Kontinent auf den dritten Winter seit Russlands Einmarsch in der Ukraine vorbereitet.
Trotz dieser Bedenken werden die derzeitigen Gasreserven als ausreichend angesehen. Dr. Yousef Alshammari, Präsident des London College of Energy Economics, erklärte gegenüber Euronews Business: „Trotz ausreichender Reserven beherrscht die Unsicherheit über die Versorgung weiterhin die Märkte“. Er wies darauf hin, dass die Gasspeicher in der EU bereits im August und damit deutlich früher als geplant eine Kapazität von 90 % erreicht haben und nun bei 95 % liegen, was mehr als 100 Milliarden Kubikmeter (bcm) entspricht.
Die kältere Witterung hat jedoch bereits zu einer Belastung der Lagerbestände geführt. In den ersten beiden Novemberwochen erreichten die Entnahmen aus den europäischen Reserven 4,29 Mrd. m³, was etwa 4 % der Gesamtkapazität entspricht, so Gas Infrastructure Europe.
Winternachfrage und künftige Herausforderungen für die Speicher
Alshammari prognostiziert, dass die Speicherstände im Frühjahr 2025 unter den Stand vom April 2024 fallen werden, als die Reserven bei 60 % lagen. „In diesem Winter könnten die Bestände unter 50 % sinken, so dass im nächsten Jahr erhebliche Gaskäufe erforderlich sind, um die Kapazitäten wiederherzustellen. In Verbindung mit dem kälteren Wetter werden die Preise wahrscheinlich höher bleiben als im letzten Winter“, sagte er.
Geopolitische Risiken und Versorgungsunterbrechungen
Die geopolitischen Spannungen, insbesondere zwischen den USA und Russland, sorgen weiterhin für eine hohe Volatilität der Energiepreise. Alshammari meinte, dass sich die Spannungen unter der nächsten US-Regierung zwar abschwächen könnten, dass aber die derzeitigen komplexen Verhältnisse die Preise wahrscheinlich instabil halten werden.
Am 16. November stoppte die russische Gazprom aufgrund eines bilateralen Streits die Gaslieferungen nach Österreich und verschärfte damit die Energiesorgen in Europa. Außerdem läuft ein wichtiger Vertrag, der den russischen Gastransit durch die Ukraine ermöglicht, am 1. Januar 2025 aus. Dadurch könnte die Hälfte der verbleibenden russischen Pipeline-Gasexporte in die EU während der Nachfragespitzen wegfallen.
„Weitere Unterbrechungen der russischen Gasversorgung werden die EU-Speicher belasten und die Preise in die Höhe treiben“, warnte Alshammari. Er wies darauf hin, dass ein geringeres Pipelineangebot Europa dazu veranlassen könnte, Kohle und Öl für die Stromerzeugung zu verwenden, was sich auf die Energiemärkte insgesamt auswirken würde.
Der Rückgang der russischen Importe und die steigende Nachfrage könnten auch die Abhängigkeit von LNG-Importen erhöhen, was die Energiekosten in Europa weiter in die Höhe treiben würde.
Die Rolle der erneuerbaren Energien und der Kernenergie
Während die Gasnachfrage zurückgegangen ist – von 350 Mrd. m³ im Jahr 2022 auf 295 Mrd. m³ im letzten Jahr – haben erneuerbare Energien und Effizienzsteigerungen eine wichtige Rolle gespielt. Der Gasverbrauch in der EU ist in der ersten Hälfte des Jahres 2024 um 3,2 % gesunken, was auf eine höhere Produktion erneuerbarer Energien und Effizienzmaßnahmen zurückzuführen ist.
„Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in der EU stieg auf 44,7 %, das sind 12,4 % mehr als 2022, während der Anteil der fossilen Brennstoffe auf 32,5 % sank“, sagte Alshammari. Er warnte jedoch davor, dass erneuerbare Energien allein Europa nicht vor Energiekrisen schützen können.
Länder wie Österreich, Norwegen und Island profitieren von der Wasserkraft und stabilen Preisen, aber die EU als Ganzes muss sich diversifizieren. „Energieeffizienz, die Reaktivierung von Kohle und die Erhöhung der Kernenergieproduktion waren in den vergangenen Krisen entscheidend“, sagte er und wies darauf hin, dass der Anteil der Kernenergie an der EU-Stromerzeugung im Jahr 2023 bei 22,8 % liegen wird. Eine Diversifizierung des Energiemixes, einschließlich der Kernenergie und der erneuerbaren Energien, könnte für mehr Widerstandsfähigkeit sorgen.