Frühzeitige Hinweise auf Risiken – dennoch Milliardenverluste
Bereits drei Jahre vor dem Kollaps von Greensill Capital im Jahr 2021 erhielten Führungskräfte der Credit Suisse anonyme Warnungen, die auf massive Risiken im Umgang mit dem australischen Finanzier Lex Greensill hinwiesen. Wie aus einem nun veröffentlichten Bericht der schweizerischen Finanzmarktaufsicht Finma hervorgeht, wurden insbesondere Zweifel an der Charaktereinschätzung und am Risikomanagement der Bank geäußert.
Die Veröffentlichung erfolgte auf gerichtliche Anordnung im Rahmen eines laufenden Verfahrens vor dem Londoner High Court, in dem ein ehemaliger Credit Suisse-Fonds SoftBank auf 440 Millionen Dollar verklagt. SoftBank soll in ein komplexes Geschäft mit Greensill verwickelt gewesen sein, bevor dessen Firma zusammenbrach.
Anonyme Hinweise: „Nehmt Greensill als Warnung ernst“
In einer der anonymen E-Mails aus dem Jahr 2018 hieß es:
„Wir haben ernsthafte Zweifel an Ihrer Charaktereinschätzung bei der Auswahl von Greensill Capital als Partner – und noch mehr daran, dieser Firma so viel Entscheidungsfreiheit über Kundengelder zu geben.“
Kritisiert wurde insbesondere, dass ein erheblicher Anteil der Greensill-Kredite an Unternehmen aus dem Konzern des schwer angeschlagenen Stahlmagnaten Sanjeev Gupta vergeben wurde. Der Hinweis bezog sich auch auf den damaligen Zusammenbruch vergleichbarer Fonds bei der Vermögensverwaltungsgesellschaft GAM, die ebenfalls Greensill-Finanzierungen angeboten hatte.
Ein leitender Manager der Credit Suisse leitete die anonyme Warnung direkt an Lex Greensill weiter mit der Bemerkung: „Leute bei CS bekommen anonyme Mails … Du musst ernsthaft deine Kommunikationsstrategie überdenken.“
Luxus, hohe Risiken und Zusammenbruch
Der Finma-Bericht beschreibt Greensill Capital als eine Firma, die sich nach außen als Technologieunternehmen präsentierte, mit maßgeschneiderten Anzügen, Privatjets und exklusiven Büros, während sie intern zunehmend riskante Finanzierungsmodelle verfolgte. Investoren wie SoftBank und General Atlantic unterstützten das Unternehmen scheinbar zur Expansion, tatsächlich dienten die Mittel laut Bericht jedoch oft dazu, andere Investoren auszuzahlen oder die Eigenkapitaldecke der unter Druck geratenen Greensill Bank zu stärken.
Die Credit Suisse bündelte Kredite von Greensill im Volumen von 10 Milliarden Dollar und bot sie vermögenden Kunden als Fondsprodukte an – ein Geschäft, das nach dem Zusammenbruch von Greensill massive Verluste verursachte.
Systemisches Versagen – und der Beginn des Credit Suisse-Niedergangs
Der im Dezember 2022 abgeschlossene Finma-Bericht, bislang nur auszugsweise veröffentlicht, dokumentiert, dass selbst im Juni 2019 noch Hinweise auf problematische Strukturen eingingen. Dennoch setzte die Credit Suisse ihre Partnerschaft mit Greensill fort. Im März 2021 brach Greensill zusammen, nachdem Versicherer ihre Rückversicherungen für Kredite nicht verlängerten. Der Zusammenbruch der Greensill-Fonds beschädigte das Vertrauen in Credit Suisse schwer und war ein wesentlicher Katalysator für den Niedergang der 167 Jahre alten Bank, die im März 2023 von UBS notübernommen werden musste.
Im Februar 2023 hatte die Finma bereits festgestellt, dass Credit Suisse ihren Aufsichtspflichten in gravierender Weise nicht nachgekommen sei. Die Bank musste strengere Kontrollen für Führungskräfte und bedeutende Geschäftsbeziehungen hinnehmen.
UBS erklärte nun zum Finma-Bericht:
„Dies ist ein Altfall von Credit Suisse. Die beschriebenen Vorgänge ereigneten sich vor der Übernahme durch UBS.“
Ein Sprecher von Lex Greensill lehnte eine Stellungnahme ab.
Fazit
Die Enthüllungen zeigen ein frühzeitiges und systematisch ignoriertes Risikobewusstsein, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Credit Suisse. Dass Warnungen aus dem eigenen Umfeld offenbar weitergeleitet, aber nicht ernst genommen wurden, steht symbolisch für die schwerwiegenden Fehler in der Unternehmensführung – Fehler, die letztlich zum Zusammenbruch einer der traditionsreichsten Banken der Schweiz führten.